Ulrich Grün
Grasland

Nähert man sich Günzburg von Augsburg kommend mit dem Zug, so führt einen der Weg durch menschenleere Wälder entlang der Donau. Rechts und links rauscht die grüne Natur vorbei, dunkle Stämme gekrönt von grünen Wipfeln. Dazwischen blinken immer wieder Wasserflächen auf, die Altwasser der Donau. Unvermittelt durchfährt man eine Brücke, der Wald weicht Gebäuden, und man fährt in den Günzburger Bahnhof ein. Niemand bemerkt, dass er gerade durch ein lukratives Anbaugebiet gefahren ist. Mein Gebiet.

Ländliche Gegenden bringt man mit Frieden, Idylle, historischen Gebäuden und einfachen Menschen in Verbindung. Aber nicht mit Verbrechen. Doch so sieht das Landleben nur aus der Sicht durchreisender Städter aus, von denen die eine Hälfte nie hier gelebt hat, während die andere Hälfte von hier geflohen ist, um das wahre Leben kennenzulernen. Als ob man das hier nicht könnte. Die Menschen, welche hier leben sind zu all den Dingen fähig, zu denen ein Städter auch fähig ist. Garantiert. Hier sei die Welt noch in Ordnung, und der Zusammenhalt größer, sagen die Städter mit einem seligen Seufzen. Dann steigen sie in ihre Autos und verlassen das langweilige, öde Landleben, so schnell sie können, um in ihre überfüllten, chaotischen und überteuerten Städte zurückzukehren. Dieser eklatante Mangel an Logik und Genauigkeit fällt denen gar nicht auf, vor lauter Geschäftigkeit. Und dabei halten sie die Menschen vom Land für naiv und einfach gestrickt. Selbst auf dem Gebiert der Kriminalität trauen sie uns nichts zu. Aber denken sie doch mal nach, logisch und in aller Ruhe. Städte sind überfüllt, und viel dichter kontrolliert, als das Land. Wenn Sie ein Verbrecher wären, wo würden Sie dann ihre geschäftliche Basis aufbauen? Natürlich in ländlichen Räume, mit geringerer Kontrolldichte durch die staatlichen Instanzen. Hierher zieht man sich zurück, um extremistische Gruppen aufzubauen, Drogen anzubauen, oder Waffenarsenale anzulegen. Die alten Strukturen, die schon im Mittelalter existierten gelten in der Unterwelt bis heute. Das Land dient der Herstellung von Waren.

Die Stadt ist nur der Absatzmarkt, und der Umschlagplatz. In die Stadt geht man um Geld zu verdienen und zu verjubeln. Aber erarbeitet wird es hier. Hier ist die Basis und nirgends sonst! Wenn man das Land nicht kontrolliert, dann kontrolliert man auch die Städte nicht. Natürlich braucht man eine gute Verkehrsanbindung. Und die hat Günzburg. Wir haben Autobahnanschluss. Da ist der Bahnhof, welcher von vielen Pendlern benutzt wird, und da ist der Regionalflugplatz. Alle drei Reiserouten sind ideal, um Drogen zu schmuggeln, denn man wird im Innland so gut wie nie kontrolliert. Und Absatzmärkte sind vor der Tür. Da ist die Universitätsstadt Ulm- Neu Ulm, und da ist Augsburg. Alles binnen 30 bis 40 Minuten zu erreichen. Keine Grenze zu überschreiten. Kleine Wege. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Frische Ware, aus heimischer Züchtung. Das kommt an. Städte sind doch überfüllt, wie Zoos. Und nur solange die Affen im Gehege ihre Nüsschen bekommen sind sie zahm und friedlich. Und nun raten sie mal, warum man gerade auf dem Land nicht so genau hinschaut. Exakt, weil den Regierenden nichts daran gelegen ist, dass all die Stadtaffen ohne Nüsschen in ihren Käfigen hocken, und zu randalieren anfangen. Städte sind Auswüchse des Luxus, und sie florieren nur in Hochzeiten. In Kriegen und Krisen jedoch, da sind die dezentralen Strukturen des Landes viel zäher und sicherer, während in den Städten das Chaos regiert. Und nichts ist den Regierenden so verhasst, wie Chaos. Da nimmt man lieber die ein oder andere Unannehmlichkeit in kauf, und drückt hin und wieder ein Auge zu.

Auch übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mike. Harley Mike nenne ich mich in der Szene. Der Name erklärt sich wohl von selbst. Im bürgerlichen Leben heiße ich Michael Dörfler. Und sparen sie sich ihre scheiß Kommentare über meinen Nachnamen. Ich kenne sie schon alle. Woher ich das alles weiß, und warum ich ihnen das erzähle? Tja, zum einen lebe ich in Günzburg, was ja an sich nichts besonderes ist, und zum anderen bin ich, nein, nicht kriminell. Also, zumindest betrachte ich mich nicht als kriminell. Ich bin Geschäftsmann. Scheiße. Seit der Wirtschaftskrise klingt das nicht mehr so seriös, wie es mal geklungen hat. Da klingt ja kriminell noch anständiger. Ökonom vielleicht. Wie klingt das? Nach Statistiken und damit nach Betrug und Wirtschaftsschamanismus. Stimmt auch wieder. Vielleicht mit einem Zusatz. Ja, das ist es! Ich bin Agrarökonom. Also quasi, sozusagen. Was das nun wieder heißt? Mann, ich baue Hanf an. Grass. Und natürlich verkaufe ich es auch. Ich führte kein besonders aufregendes Leben. Arbeite die Woche über als Bankangestellter, so mit Schlips und Anzug. Gärtnerei war zunächst mehr mein Hobby. Die meisten finden das langweilig und bieder. Ich aber sage, wenn man etwas mit Herzblut macht, ist nichts langweilig. Pflanzen fand ich immer faszinierend. Mir gefällt es, wenn die Dinge wachsen und blühen.

Jetzt kommen sie mir bloß nicht mit Freud, und so Analysen, wie der Mann kompensiert die Tatsache dass er keine Kinder kriegen kann. Ich habe einfach eine ganz allgemein positive Einstellung zum Leben an sich. Und so kam ich eines Tages darauf Gras anzubauen. Wenn man sich mit dem Thema einmal näher befasst, dann ist Günzburg eine ideale Umgebung für den Grasanbau. Nein wirklich. Ich verarsch sie nicht. Die Auwälder entlang der Donau sind hervorragendes Grasland. Ich erklär ihnen gleich warum. Zunächst einmal brauchen sie natürlich Samen oder Jungpflanzen. Woher man das Zeug bekommt? Tja, man kann es übers Internet bestellen. Oder man kennt jemanden, der es anbaut, und bekommt von ihm ein paar Ableger. Unter Buddies in der Szene der übliche Weg. Aber wenn man sich mit Pflanzen auskennt, dann gibt es noch eine dritte Möglichkeit, die keine Spuren im Netz hinterlässt, und keine Freunde in der Szene benötigt.

Vogelfutter. Ja, Sie haben richtig gehört. Hanfsamen sind in manchem Vogelfutter enthalten, und ich rede nicht von den Hanfsamen, welche keine Rauschmittel enthalten, sondern von richtig gutem Shit. Ist eben etwas mühsam, die Pflänzchen heranzuziehen. Solange man das nur für den Hausgebrauch macht genügen ein paar Töpfchen auf der Fensterbank, oder im Gewächshaus. Vorausgesetzt, sie haben keine neugierigen und intriganten Nachbarn. Wenn Sie das Zeug aber züchten und verkaufen wollen, dann müssen sie größere Mengen davon anbauen und ernten. Das kann man auf Feldern machen, wenn man gerne risikoreich lebt. Viel wahrscheinlicher, als eine reiche Ernte ist dabei allerdings, dass man selbst kassiert wird, denn auffälliger kann man Hanf kaum ziehen. Etwas besser ist es da schon, die Pflanzen im Wald zu ziehen. Doch zum einen sind die Erträge dann nicht so groß, denn Hanf braucht Licht, um zu gedeihen, und zum anderen ist der Wald in Deutschland kein Niemandsland. Ja, was glauben sie denn.

Der Wald gehört natürlich jemandem, und dieser Jemand sieht in seinem Wald natürlich nach dem rechten. Solche hohen Pflänzchen fallen dem natürlich auf. Die meisten Waldbesitzer wissen, was an Pflanzen in ihrer Gegend wächst, und was nicht. Nein, sie müssen jemanden finden, dem zwar ein Waldstück gehört, der damit aber nachlässig umgeht, und sich nicht besonders darum kümmert. Sei´s, weil’s ihm egal ist, oder weil er die Pflege seines Grunds als Kostenfaktor ansieht, an dem sich sparen lässt. Die Stadt wäre schon ein guter Vorschlag. Wald, der dem Bund gehört noch besser. Aber richtig gut ist es mit Wald, welcher der Bahn gehört. Man kann den Hanf dann ganz einfach neben der Bahnstrecke anpflanzen. Möglichst an einer Stelle, an der Brennnesseln wachsen. Die sind ein hervorragender Standortindikator. Wo Brennnesseln sich wohl fühlen, da gedeiht auch Hanf hervorragend. Und wenn das direkt neben der Bahnstrecke ist, so macht es auch nichts. Aus einem vorbeirauchenden Zug unterscheiden sie Hanf nicht mehr von Brennnesseln. Das sieht zwar leichtsinnig aus, weil es so offen geschieht, aber wer so denkt, der kalkuliert die Geschwindigkeit des Zuges nicht mit ein. Eine offene Pflanzung neben einem Spazierweg, das ist leichtsinnig, aber neben einer Bahnstrecke, das ist ein ganz sicheres Ding. Günzburg und Umgebung bieten viele Bahnkilometer die durch Waldgebiet führen. Menschenleer und nicht leicht zugänglich. Ein ideales Anbaugebiet, dessen Abnahmezentren ohne Kontrollen zu erreichen sind. Mit der Ernte kann man ganz ordentlich verdienen. Bei bescheidenem Lebenswandel würde es sogar zum leben reichen.

Aber natürlich ist ein guter, ehrgeiziger Geschäftsmann stets darum bemüht zu expandieren. Das kann man auf zwei Arten tun. Man kann ganz legal Wald dazupachten, und dann auf eigenem Grund seine Hanfpflanzen ausbringen. Waldstücke dafür müssen dich bewachsen, und Urwaldartig sein, und davon gibt es mehrere in der Gegend. Der Vorteil davon ist, dass sich keiner, welcher den Wald zum Holzmachen pachtet für diese Stücke interessiert. Niedrige Pacht und guter Ertrag bringen einem stattliche Gewinne. Das ist Expansion um Masse zu machen. Zum anderen ist da die Zucht, also Expansion in Qualitätsfragen. Hanfpflanzen an den moorigen Boden der Auwälder und deren Halbschatten anzupassen erfordert einiges Geschick. Aber dafür kann man dann konkurrenzlose Qualität anbieten, und sich einen Namen machen. Wenn sie also das nächste mal nach Günzburg kommen denken sie an meinen Werbeslogan. Man kann die Natur auf mehr als eine Weise genießen.


Ulrich Grün
Günzburg