Regina Benz
Dumm gelaufen oder der perfekte Mord

Klinikum Günzburg, Notaufnahme, 28.04.2009
Diensthabender Arzt Dr. Rainer Schauer

Ein wunderschönes langes Wochenende steht bevor, und mein erster Gedanke ist, meine
Frau Chiara mit einer tollen Überraschung zum ersten Mai zu erfreuen. Es ist schon so
lange her, als ich ihr in der frischen Verliebtheit einen Maibaum gesetzt habe. Wir waren
damals so glücklich und nun haben wir es tatsächlich zugelassen, dass sich durch den
Berufsalltag in den letzten Jahren eine gewisse Routine und Nachlässigkeit eingeschlichen
hat. Wann waren wir das letzte Mal im Kino oder gemütlich Essen und haben mal wirklich
miteinander gesprochen und die gemeinsame Zeit zusammen genossen?
Da ist er wieder, der Stich ins Herz! Verdammt noch mal, warum hat sich mein Verdacht,
dass Chiara eine heimliche Affäre eingegangen ist, nur bestätigt? Als ich die beiden neulich
im Klingelpark zusammen sah, tobte die Eifersucht in mir! Ich könnte den Kerl umbringen!

Schwester Irene reißt mich aus meinem Gedankenstrudel und hält den neuen Dienstplan in
den Händen. Ausgerechnet am kommenden langen Wochenende trifft es mich.
Da wird es wieder nichts mit der Aussprache zwischen Chiara und mir. Allein die Vor-
stellung , dass Chiara die Gelegenheit wieder nutzen wird, macht mich fast wahnsinnig.
Mister Unwiderstehlich wird schon die Stunden bis zum Wiedersehen zählen.
Nach diesem Wochenende müssen wir eine Entscheidung treffen, denn so kann es nicht
weitergehen.

Notfallaufnahme, 01.05.09
In meinem Kopf drehen sich die Gedanken an meine Frau und diesen Kerl wie in einem
Karussell, obwohl ich mir fest vorgenommen habe, bei Dienstantritt einen klaren Kopf
zu behalten. Doch die Vorstellung, dass die beiden sich wieder treffen, macht mich rasend.
Ein Notruf der Zentrale Krumbach reißt mich aus meinen Gedanken.
Ein schwerer Verkehrsunfall auf der A8 - Ausfahrt Legoland - zwei PKW mit mehreren
Insassen und ein Motorradfahrer warten auf ärztliche Versorgung.
Kollege Dr. Herzsprung und ich fahren mit dem ersten Notarztwagen zur Unfallstelle.
Wir kümmern uns gleich um den bewusstlosen Motorradfahrer. Die Erste-Hilfe-Maßnahmen
machen eine konzentrierte Vorgehensweise nötig. Der Helm muss vorsichtig abgehoben werden,
der Mann wird in den Notarztwagen gebracht und da erkenne ich ihn plötzlich. Das ist doch
Mister Unwiderstehlich! Mir stockt der Atem, und ich merke, dass er nicht mehr atmet.
Eine Herzdruck-Massage ist nötig, also 30mal drücken, zweimal beatmen und das wieder
und immer wieder. Das Leben des Mannes liegt in meinen Händen, das Schicksal schlägt
schon grauenhaftzu! Jetzt nur nicht durchdrehen, mein ganzer Einsatz als Arzt ist gefordert.
Der Schweiß steht mirauf der Stirn, ich denke nur noch: komm Herz, fang an zu schlagen!
Ich drücke den Brustkorbwieder und wieder, mein Kollege hat die Beatmung übernommen,
die Elektroden vom EKG sind aufgeklebt und endlich hören wir die Herztöne piepsen.
Wir sind im Krankenhaus angekommen, vorsichtig wird der Patient von den Schwestern und
einem Kollegen übernommen. Und da sind sie wieder, die Gedanken an meine Frau und diesen
Kerl, den ich gerade ins Leben zurückgeholt habe.
Der Rest war Routine, die Wiederbelebungsmaßnahmen waren erfolgreich gewesen, doch
ein paar Stunden später schlägt Schwester Irene Alarm aus der Intensivstation.
Herzstillstand, Lungenversagen - der verletzte Motorradfahrer ist tot!
Die Frau des Unfalltoten steht draußen auf dem Flur, Fassungslosig-
keit macht sich breit, und mir steht die unangenehme Aufgabe bevor, den Tod
diesen Mannes zu erklären.
Bei der Zusammenkunft im Ärztezimmer erkenne ich in der Witwe die frühere
beste Freundin meiner Frau wieder. Beatrice und Chiara kennen sich seit der
Schulzeit, doch haben sie sich nach unserer Hochzeit aus den Augen verloren.
Das Gespräch verläuft nicht so, wie ich es erwartet habe, denn auch die Witwe
erkennt mich wieder. Trost und Zuspruch bleiben mir fast in der Kehle stecken!
Ich weiß nicht warum, aber ich biete dieser Frau Hilfe an, rufe meine Frau an und
erkläre ihr die Situation, verschweige aber den Namen des toten Motorradfahrers.
Chiara verspricht zu kommen, um ihrer Freundin in diesen schweren Stunden
zur Seite zu stehen. So lasse ich den Dingen erstmal ihren Lauf.
Auf der Station herrscht reges Treiben und ich muss meinen Dienst zu Ende
bringen. Das Unfallprotokoll muss ich noch schreiben und nach Dienstende am
Sonntagmorgen übergebe ich mein Dienstprotokoll Schwester Irene.

Zuhause, 03.05.09
Meine Frau erwartet mich schon, was in mir eine gewisse Unruhe auslöst.
Ohne Vorwarnung schreit sie mir ins Gesicht: ”Du hast ihn umgebracht! Darüber
musst du Rechenschaft ablegen! Ich habe Beatrice zu einer Obduktion geraten und
sie hat im Krankenhaus das Notwendige dazu veranlasst.”
Da war sie nun, die große Aussprache, sie hat ohne mich stattgefunden.
Beatrice und Chiara haben nach der Verabschiedung vom Toten recht schnell
begriffen, dass beide Frauen nun um den selben geliebten Mann trauern.
Mister Unwiderstehlich hat ein Doppelleben geführt und ich habe es durch einen
unglücklichen Zufall ans Tageslicht gebracht. Fassungslosigkeit steht meiner
Frau ins Gesicht geschrieben. Nun hatte ich zwei Frauen gegen mich, eine betrogene
Ehefrau, eine unglückliche Geliebte, und als Arzt habe ich nun auch ein Problem!
Die Obduktion des toten Unfallopfers wird mich in Schwierigkeiten bringen, denn nur
ich kenne die genaue Todesursache!

Amtsgericht Günzburg 15.05.09
Ich sitze auf der Anklagebank, mein Rechtsanwalt Dr. Ehrlich neben mir.
Im Publikum sitzen Chiara und Beatrice. Die Verhandlung beginnt.
Der Richter beschuldigt mich, den verunglückten Motorradfahrer im Rahmen der
Erste-Hilfe-Maßnahmen auf Grund der Aussagen der Witwe und meiner Frau
eiskalt in den Tod getrieben zu haben.
Ich hätte die Herzdruck-Massage mit Absicht zu tief unterhalb des Rippenbogens
ausgeführt. Daraufhin kam es anschließend zu einem Reflux der scharfen Magensäure,
die durch den wiederholten Druck auf den Brustkorb bei der Wiederbelebung, in die
Speiseröhre nach oben gespült wurde. Durch einen Bruch an der Durchtrittsstelle der
Speiseröhre wurde die Magensäure ins Zwerchfell und in die Lunge gedrückt, was dann
letztendlich zum Lungenversagen und zum Tode geführt hat.

Schuldig oder nicht schuldig, diese Frage wird wohl nicht zweifelsfrei beantwortet
werden können!

Regina Benz
Bubesheim